Das Europäische Parlament (EP) stimmte am 01.06.23 über seine Position zur Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD = EU-Lieferkettengesetz) ab. Mit dieser EU-Richtlinie sollen Unternehmen künftig zur Einhaltung von Menschenrechten und dem Schutz der Umwelt entlang ihrer Lieferketten verpflichtet werden. Einen Tag nach der Abstimmung stellte sich der CSU/EVP-Europaabgeordnete für Bayrisch-Schwaben, Markus Ferber, den Fragen der KAB.
Den Gedankenaustausch eröffnete der KAB-Diözesanvorsitzende Erwin Helmer mit einer griffigen Einführung in die katholische Soziallehre „Die Güter der Erde sind für alle da“ und der eindringlichen Mahnung von Papst Franziskus anlässlich seiner Kongo-Reise im Januar 2023 „Hände weg von Afrika!". Zustimmend entgegnete Markus Ferber, man könne sich hier im Raum auf „Überschriften schnell verständigen“, auch er trete für Menschenrechte und einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur ein. Und dennoch habe er „auch aus christlicher Überzeugung gegen den Vorschlag gestimmt“. Damit war das Eis für eine lebhafte Diskussion gebrochen.
Der Europaabgeordnete und Vorsitzende der Hans-Seidl-Stiftung begründete sein Abstimmungsverhalten mit der „festen Überzeugung, dass er [der Gesetzesvorschlag] die Situation im Gegenteil eher verschlechtert nicht verbessert“. Sollten Unternehmen nicht in der Lage sein, die Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten entlang ihrer Wertschöpfungsketten zu gewährleisten oder im Falle eines Rechtsstreits für Verstöße haftbar gemacht werden, würde dies zu einem (präventiven) Rückzug der Unternehmen führen. Damit, so Ferber, sei niemandem geholfen. Es bestünde die Gefahr, dass Arbeitsplätze in Ländern mit ohnehin schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen verloren gehen oder dass europäische durch außereuropäische Unternehmen mit schlechteren Arbeitsbedingungen verdrängt werden würden.
Die anschließende Fragerunde drehte sich zunächst um die Arbeits- und Sozialstandards der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) sowie um das Thema Mindestlohn, zwei zentrale Elemente fairer Arbeit, die von der KAB im Gesetzesentwurf schmerzlich vermisst werden. Während Ferber der Thematik Mindestlohn mit Skepsis begegnete, sprach er sich deutlich für die Einbindung der ILO-Normen aus. Er schlug vor, dass Unternehmen in Ländern, in denen ILO-Standards gelten, von der Prüfung der Sorgfaltspflicht befreit werden sollten. Dies würde nicht nur Bürokratie abbauen, sondern auch einen Anreiz für die weltweite Anwendung der ILO-Standards setzen.
In der Frage, wie die Unternehmen die Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten nachweisen sollen, bestand eine bedingte Einigkeit zwischen den Gesprächsteilnehmern. Aus Sicht der KAB dürfe es keine Umgehung der Verantwortung durch Zertifizierungen geben. Der Abgeordnete ergänzte zustimmend und beispielhaft, dass eine Zertifizierungsstelle wie der TÜV Süd in einer Region wie Xinjiang keine Zertifizierungen durchführen könne. Nach seiner Prognose werde sich aber am Ende immer ein Zertifizierer finden. Doch auf die Frage, welche Alternative es zur Zertifizierung gäbe, konnte auch er nur entgegnen: „Ich weiß keine“. In der Verlagerung von Wertschöpfungsketten nach Europa oder dem Aufbau europäischer Abbau- oder Produktionsstätten (z.B. das Betreiben einer afrikanischen Kobalt-Mine durch einen deutschen Autohersteller in Eigenregie) sah der langjährige EU-Abgeordnete jedenfalls keine realistische Lösung.
Gegensätzliche Positionen vertraten die Gesprächspartner in der Diskussion der Haftungsfrage. Während die KAB-Bildungsreferentin Myriam Gammer die Möglichkeit für Geschädigte, Unternehmen wegen Sorgfaltspflichtverletzungen zu verklagen und haftbar zu machen, als soziale Errungenschaft revolutionären Ausmaßes charakterisierte, beschwor Markus Ferber die wirtschaftlichen Risiken: „Was wird der Unternehmer tun? Und wenn nur einer verurteilt wird, dann werden sich 100 zurückziehen.“
Die KAB-Vertreter*innen bedankten sich am Ende des einstündigen Austauschs recht herzlich bei Markus Ferber für das konstruktive Gespräch. Wertschätzend verabschiedeten sie den EU-Parlamentarier mit fair gehandelten Kaffeebohnen mit Solidarbeitrag für die KAB in Tansania, einer PC-Maus mit nachweislich fairer Lieferkette sowie mit über 60 Gründen für ein starkes EU-Lieferkettengesetz. Diese haben Menschen aus dem ganzen Bistum Augsburg auf Postkarten zusammengetragen und an ihren Vertreter im Europäischen Parlament adressiert.
Stefan Hanft